Elbinsel, 09.12.2024
Wilhelmsburger Kunstbüro und Freunde Wilhelmsburger Kunstbüro und Freunde

m propper6 kleinMich ärgerte, daß Redebeiträge ständig unterbrochen wurden, aber insgesamt faszinierte mich das Treiben im Club. Freaks, Dichter, Künstler, linke Polit-Aktivisten, neugierige Bürger, Junkies usw. gaben sich ein Stelldichein.
Nach dem writer’s corner sollte ich die aktuelle Ausgabe von herzGalopp vorstellen. Mr. Propper schob jedoch erst mal eine Pause ein. Beim Eingang standen ein paar Kästen mit Getränken. Ich hielt, etwas nervös, das von Günther spendierte Bier in der Hand. Der Club-Betreiber hatte ein oder zwei Helfer. Den Getränkeverkauf führte er an diesem Abend selber durch. „Vertrauen ist gut“  - Günther grinste und zwinkerte mir zu – „Kontrolle ist besser. Weißt Du doch, Samson.“ Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, leicht verlegen. Günther schien einiges von mir zu halten, ja mir sogar zu vertrauen. Ich spürte Nähe, aber auch grundlegende Unterschiede. „Schaun mer mal“. Wenn ich nicht weiter weiß, bringe ich gerne einen nichts sagenden Spruch.

„Pösie“, sagte Günther. Wir haben heute einige Pösies hier“. Schon wie er das Wort aussprach.... Poesie war offenbar nicht Mr. Proppers Sache. Naja, er war Vertreter der ALO = Außer-Literarischen-Opposition. Ich fand diese Variation von APO = Außer-Parlamentarische-Opposition bemer-kenswert, ja originell. Da war zumindest etwas „dran“: Es gibt eine Welt auch außerhalb der Literatur. Ein Mensch kann Dichter sein, ohne seine Worte und Gedanken zu Papier zu bringen. Mr. Propper war diesbezüglich nicht genau festgelegt. Es hing von seiner Tagesform ab. Stammten Texte von Beat-Autoren oder waren leicht erkennbar gegen das konventionelle Bildungs-Ideal gerichtet,  hörte er schon mal genauer hin. Wurde ihm eine Sache zu kompliziert, hielt er es mit Bobby Mc Ferrin: „Don’t worry, be happy“.  Klar war: Alles, was –und sei es nur in entfernter Weise- an Akademie oder Hoch-Kultur erinnerte, war Günther ein Greuel.
Irgendwann kam ich zu meinem Vortrag.
„Selbstdiagnose II“ begann mit einem langgezogenen Schrei, dann las ich vom Blatt: „Hallo Bremen, Gu’n Amd AKAS, nice to see you, buona sera BÜRO FÜR LEBENSFREUDE! Würde gern mal dein Aktenordner sein (ich zeichnete in die Luft) oder ne Büroklammer – aus Marzipan- Dein stiller Locher und Hefter, ach, weißes Tipp-Ex, rein, sauber ... aber auch REISS-Zwecke-Zecke auf den gepolsterten Sitzen so genannter Volksvertreter ... O sole mio anarchico ... Rote Lippen sind zum Küssen, ja zum Küssen sind sie da; man soll es aber nicht müssen ... La Paloma ohe (= singend)  Der noch feuchte Speichel des WESERSPUCKERS auf rosa Papier  Ich fuhr nie zur See, nur auf den Nervenbahnen meiner Phantasie... Fantasie an die Acht – ÄHH MACHT Fanta? SI! Andy m-8 ...
Ich hatte starken Toback zusammengetippt mit Anspielungen auf Propper-Aktivitäten. Es ist mir heute etwas peinlich, mich Günther in dieser Art genähert zu haben, aber ich sah ihn als einen Bruder. Ich suchte enge Kooperation. Das „Büro für Lebensfreude“ gab es tatsächlich, es war ein Projekt, das Günther 1991 ins Leben rief; außerdem gab er mal die 1 Blatt-„Zeitschrift“ WESER-SPUCKER heraus.
Ich erinnere mich an den Verlauf des Abends nur lückenhaft. Bei der Recherche für diese Aufzeich-nungen beziehe ich mich u.a. auf zwei Ausgaben des Writer’s Corner sowie auf eine Broschüre, die Meister Propper anläßlich seiner geplanten Kandidatur für den Bremer Oberbürgermeister-Posten veröffentlichte.
CC Kruse alias Daniel Dachtewitz, Herausgeber des Fanzines „Der Achimer Hausfreund“ sang ein paar Lieder zur Guitarre. Ich kannte CC von einem Festival in Hannover. Seine Texte überzeugten mich nicht restlos, aber die Intensität, mit der er vortrug: schwer punklastig und emotional, fand ich respektabel.
Aus Hamburg hatte ich ein paar Bekannte mitgebracht, Musiker und Dichter, FX + andere, die, wie ich meinte, bestens in die wilde Spektakel-Szenerie des AKAS-Clubs passten. Sie traten mit Saxo-phon, Trommeln und Texten auf. Ihr Resümee bei der Rückfahrt lautete: „Einmal und nie wieder!“  Sie fanden den Club nur „Schrecklich. Zum davonfahren. (hahaha).“
Ich hatte meine Hamburger Bekannten falsch eingeschätzt – dabei bildete ich mir ein, sie einigermaßen zu kennen.
Ich besuchte später noch mehrmals den Mr.Propper-Club, aber auch andere Lokalitäten, in denen Günther moderierte und inszenierte.
1997 zeigte er Interesse, nach Hamburg zu kommen. Das Wilhelmsburger Kunstbüro lud ihn zu einer Lesung in die Honigfabrik ein. Knapp 20 Besucher saßen an den runden Holztischen. Günther plauderte, erzählte ...
In der #5 der Zeitschrift herzGalopp fand ich folgende Notiz von mir: „... Günther Kahrs ist mutig und versteht es, Leute gegen sich aufzubringen. Auch Frauen. Als Kind ist er von seiner Mutter mißbraucht worden, wie er bei seiner Performance in der „Honigfabrik“ erzählte.“ Ende des Zitats.
Bei anderer Gelegenheit interviewte ich ihn in Hamburg während einer Sendung von Radio Brisanz. Außerdem nahm ich ihn zu einem Poetry Slam im „Fools garden“ mit.
Wir trafen uns am Hauptbahnhof und fuhren ins Schanzenviertel zum Studio des FSK (Freies Sender Kombinat). Der Meister war offensiv gestimmt, legte es darauf an zu provozieren. Ironisch wie immer wählte er Sätze mit Hintersinn, feinen Widerhaken. Subtil, aber unüberhörbar auf Anmache aus. Ich erinnere mich an den Spruch „Auch Frauen sind Menschen“ – oder sagte er „Frauen sind auch Menschen“?
Wegen diesem Interview bekam ich Ärger beim FSK. Ich fand trotzdem richtig, Interview-Partner ausreden zu lassen.
Beim Poetry Slam im Fools Garden beschimpfte er das Publikum als „Akademiker“, „verwöhnte Bürgersöhnchen“, „Möchtegerne-Künstler“, „Hirnwixer“ usw. Ich war schwer enttäuscht. Nicht daß ich Sympathien für die Zuschauer hegte. Günthers Darbietung war ohne Esprit. Seine Schimpfkano-nade bestand aus Platitüden. Die auf das zahlende Publikum gefeuerten Breitseiten wirkten schablonenhaft, irgendwie tot. Vorprogrammiert, auswendig gelernt. Er landete bei der Punkt-auswertung weit unten, mehrere Plätze hinter mir. Was ihn aber wohl am meisten wurmte: Ihm wurde nicht der nach mir benannte „Dr. Buhmann-Gedächtnis-Preis“ für ungewöhnlich abgefahrene Performances verliehen, der allmonatlich ausgelobt wird. Meister Propper war schwer beleidigt. Offenbarm propper8 klein hatte er sich verrechnet. Und ich war schuld. Denn ich hatte ihn ins Fools Garden gelockt. Bei der Rückfahrt mit der S-Bahn versuchte ich ihm klar zu machen, daß die Wertung der Jury nicht aus heiterem Himmel kam. Propper blockte jede Diskussion ab mit dem Hinweis, er sei „kein intellektueller Hirnwixer“. Und drehte mir den Rücken zu. Ich war baff. Zwar kannte ich seine Launen schon aus anderen Situationen, in denen er sachliche Gespräche generell abwürgte, nur: Seine Bremer Inszenierungen waren quasi Heimspiele. An der Weser kannten ihn alle und er konnte sich eine Menge herausnehmen. War es nicht angebracht, sich bei einem völlig unbekannten Publikum auch mal ein paar Gedanken zu machen?
Günther blieb in seiner Schmoll-Ecke. Statt mit mir nach Wilhelmsburg zu fahren, um dort zu übernachten, sagte er am Hauptbahnhof nur „Tschau, ich habs mir anders überlegt“, und verließ die S-Bahn. Ich hatte eine Schlafstatt für Meister Propper vorbereitet, war nun aber erleichtert, daß er nicht mitkam.
Ich schickte Günther später noch die neuen Ausgaben von herzGalopp, aber es gab keine Verbrüderung mehr. Um 2002 brach der Kontakt völlig ab.
 
Bei you tube gibt es einen Film (Mixx-TV) über Mr. Propper aus dem Jahr 2001 zu sehen.
 
19.11./5.12.2012 Raimund Samson
 
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